I
„Warum bist du hier?“, möchte ich fragen, doch ich habe weder Stimme noch Worte, die zur Außenwelt durchdringen können. Also halte ich die Klappe, so sehr, dass sich meine Kiefermuskeln verhärten. Alles schweigt still. Ich sehe ihn an. Kann nicht verstehen, wie er seit einer Woche seine Zeit verschwendet, um hier neben mir zu sitzen, in dem kargen Aufenthaltsraum. Manchmal versucht er, meine Hand zu halten, doch ich entziehe sie ihm. Will ich ihn bestrafen? Nein. Wofür auch. Es ist nur so: Anfassen verboten. Warum? Weil das, was er anfasst, verdorben ist. Ein fauliges Stück Wesenheit. Er aber soll nichts Unreines berühren. Er soll sich nicht mit mir beschmutzen. Ich seufze. Er sieht auf. Hat die ganze Zeit auf die Tischplatte gestarrt. Das macht er immer, wenn die Neuigkeiten des Tages erzählt wurden und es nichts mehr zu sagen gibt. Aber jetzt sieht er hoch, sieht mir ins Gesicht. Sein Blick ist fragend. Hoffend. Ein Seufzen ist doch mal was. Eine Regung. Vielleicht wird sie gleich anfangen zu reden, mag er denken. Vielleicht wird sie mir gleich erklären, warum wir hier gestrandet sind, auf der Geschlossenen. Gab es wirklich keinen anderen Ausweg? Vielleicht… Aber ich drehe mich weg. Kann ihn nicht mehr ertragen. Lass mich.
II
Die Tage sind lang hier. Man liegt auf dem Bett und überlegt sich, warum man sich umbringen sollte. Man findet zu viele Antworten. Das tut schrecklich weh, ganz tief drinnen. Und es schmerzt umso mehr, da der Schmerz nicht an die Oberfläche kommen kann, kommen darf. Ich habe schon lange nicht mehr geweint, nur stumm gelitten, wie ein waidwundes Tier. Meine Augen sind staubtrocken. Komm, denke ich mir, du bist doch schon lange tot. Im Geist. Dann lass den Körper endlich folgen. Das wäre nur konsequent. Aber manchmal hat man keine Antwort. Man weiß nicht mehr, warum man nicht mehr leben will. Das sind die Momente, in denen man mit angewinkelten Knien auf der Seite liegt, das Kopfkissen umklammert und fassungslos aus dem Fenster starrt. Bis eben hatte man noch einen Todes-Wunsch gehabt, einen einzigen, einen Sterbe-Plan, eine Abschieds-Absicht. Einen Strohhalm in dem wüsten Verzweiflungsmeer. Jetzt hat man nicht einmal mehr das. Ich weiß noch, wie ich zum ersten Mal so da lag und aus dem Fenster stierte. Was nun, dachte ich. Hilfe! Was soll ich bloß machen? Als er am Abend kam, konnte ich ihm nicht erzählen, was in mir geschehen war. Aber ich legte meine Hand auf seine. Für einen kurzen Moment. Und ich spürte die Wärme seiner Haut. Mir selbst ist ständig kalt.
III
Ich bin aufgestanden. Ganz alleine bin ich aus meinem Bett gekrochen und über den Flur gegangen. Der Flur ist ab jetzt meine Welt. Ich habe ein Zimmer entdeckt, in dem ein weißhaariger Mann zum Werkeln einlädt. Seitdem verbringe ich jede mögliche Minute dort und bearbeite einen dunklen Speckstein. Der Stein ist ab jetzt mein All-Eines. Ich schleife und schleife und habe dabei keine Gedanken und das tut gut. Meine Welt ist klein. Sie ist einen Stein groß und einen Flur lang. Aber es ist mein Universum, das ich nicht mehr verlassen will, weder auf meinen eigenen Füßen, noch mit den Füßen voran. Manchmal denke ich, das sei doch schön.
Wenn er kommt, dann ist es immer noch verwunderlich. Aber ich lerne, mich auf seine Beständigkeit zu verlassen. Inzwischen passiert es mitunter, dass ich vor der Draußentür herumlungere. Auf ihn warte. Warum? Ich möchte ihm nichts sagen, möchte ihn nichts fragen. Ich möchte nur neben ihm sitzen. Warum? Manchmal ist mir, als wäre da ein Wort, dass sich zu ihm hinflüstern möchte. Doch es traut sich nicht, meinen Kopf zu verlassen. Es ist noch zu neu, zu frisch, zu klein. Außerdem scheine ich das Sprechen verlernt zu haben. Manchmal stehe ich vor dem Spiegel und versuche es. Allein, es ist kein Laut zu hören.
IV
Ich ertappe mich, wie ich nach draußen schaue. Ich betrachte die Novemberbäume, das letzte Laub, das an den schwarz anmutenden Zweigen hängt. Aber mir ist nicht melancholisch zu Mut dabei. Ich denke nicht ans Sterben, wenn ich die Baumskelette sehe und finde das noch nicht einmal paradox. Stattdessen denke ich an das Grün, das sie schon in ein paar Monaten zieren wird. Verdammt noch mal, sage ich mir, denke ich etwa ans Leben? Man erlaubt mir, mit ihm in den Garten zu gehen. Aber soviel Freiheit lässt mich zurückschrecken. Der Wind trifft mich mitten ins Gesicht, treibt mich zurück ins Stickige, das nach Krankenhaus riecht und nach Desinfektionsmittel. Mir ist die Außenwelt vergällt. Scheiß auf hellgrün beblätterte Äste in FünfMonats -Frist! Doch da greift er nach meiner Hand und lässt sie nicht mehr los. Diesmal lasse ich ihn. Fasse sogar ein klein wenig fester, suche Halt bei ihm. Er steht neben mir, wartet ab, bis ich mich wieder entspanne, so gut es eben geht. Er sieht mich nicht an, er sieht nach draußen, in den Garten. Ein stoischer Kerl ist er. Oder nur ein sturer? Ich merke, wie sich meine Mundwinkel heben, nur um ein Winziges. Da ist wieder dieses Wort, das heraus will. Zu ihm will. Es schwebt dicht unter der Oberfläche.
Er dreht sich zu mir um. Mustert mich eindringlich. Will etwas sagen. Hält den Mund. Dreht sich wieder weg, wischt sich über die Augen.
Ich bemerke auf einmal die grauen Haare an seiner Schläfe. Waren die schon früher da? Oder sind sie in den letzten vier Wochen herangekrochen gekommen, haben sich auf ihm niedergelassen, als Ausdruck seiner Sorge … Vorsichtig hebe ich die Hand und streiche sacht darüber. Er hält ganz still. Da bricht das Wort aus mir heraus, das Wort, das sich heimlich vermehrt hat und nun einen ganzen Satz bildet, „Lass’ uns gehen“, sage ich.
„Warum bist du hier?“, möchte ich fragen, doch ich habe weder Stimme noch Worte, die zur Außenwelt durchdringen können. Also halte ich die Klappe, so sehr, dass sich meine Kiefermuskeln verhärten. Alles schweigt still. Ich sehe ihn an. Kann nicht verstehen, wie er seit einer Woche seine Zeit verschwendet, um hier neben mir zu sitzen, in dem kargen Aufenthaltsraum. Manchmal versucht er, meine Hand zu halten, doch ich entziehe sie ihm. Will ich ihn bestrafen? Nein. Wofür auch. Es ist nur so: Anfassen verboten. Warum? Weil das, was er anfasst, verdorben ist. Ein fauliges Stück Wesenheit. Er aber soll nichts Unreines berühren. Er soll sich nicht mit mir beschmutzen. Ich seufze. Er sieht auf. Hat die ganze Zeit auf die Tischplatte gestarrt. Das macht er immer, wenn die Neuigkeiten des Tages erzählt wurden und es nichts mehr zu sagen gibt. Aber jetzt sieht er hoch, sieht mir ins Gesicht. Sein Blick ist fragend. Hoffend. Ein Seufzen ist doch mal was. Eine Regung. Vielleicht wird sie gleich anfangen zu reden, mag er denken. Vielleicht wird sie mir gleich erklären, warum wir hier gestrandet sind, auf der Geschlossenen. Gab es wirklich keinen anderen Ausweg? Vielleicht… Aber ich drehe mich weg. Kann ihn nicht mehr ertragen. Lass mich.
II
Die Tage sind lang hier. Man liegt auf dem Bett und überlegt sich, warum man sich umbringen sollte. Man findet zu viele Antworten. Das tut schrecklich weh, ganz tief drinnen. Und es schmerzt umso mehr, da der Schmerz nicht an die Oberfläche kommen kann, kommen darf. Ich habe schon lange nicht mehr geweint, nur stumm gelitten, wie ein waidwundes Tier. Meine Augen sind staubtrocken. Komm, denke ich mir, du bist doch schon lange tot. Im Geist. Dann lass den Körper endlich folgen. Das wäre nur konsequent. Aber manchmal hat man keine Antwort. Man weiß nicht mehr, warum man nicht mehr leben will. Das sind die Momente, in denen man mit angewinkelten Knien auf der Seite liegt, das Kopfkissen umklammert und fassungslos aus dem Fenster starrt. Bis eben hatte man noch einen Todes-Wunsch gehabt, einen einzigen, einen Sterbe-Plan, eine Abschieds-Absicht. Einen Strohhalm in dem wüsten Verzweiflungsmeer. Jetzt hat man nicht einmal mehr das. Ich weiß noch, wie ich zum ersten Mal so da lag und aus dem Fenster stierte. Was nun, dachte ich. Hilfe! Was soll ich bloß machen? Als er am Abend kam, konnte ich ihm nicht erzählen, was in mir geschehen war. Aber ich legte meine Hand auf seine. Für einen kurzen Moment. Und ich spürte die Wärme seiner Haut. Mir selbst ist ständig kalt.
III
Ich bin aufgestanden. Ganz alleine bin ich aus meinem Bett gekrochen und über den Flur gegangen. Der Flur ist ab jetzt meine Welt. Ich habe ein Zimmer entdeckt, in dem ein weißhaariger Mann zum Werkeln einlädt. Seitdem verbringe ich jede mögliche Minute dort und bearbeite einen dunklen Speckstein. Der Stein ist ab jetzt mein All-Eines. Ich schleife und schleife und habe dabei keine Gedanken und das tut gut. Meine Welt ist klein. Sie ist einen Stein groß und einen Flur lang. Aber es ist mein Universum, das ich nicht mehr verlassen will, weder auf meinen eigenen Füßen, noch mit den Füßen voran. Manchmal denke ich, das sei doch schön.
Wenn er kommt, dann ist es immer noch verwunderlich. Aber ich lerne, mich auf seine Beständigkeit zu verlassen. Inzwischen passiert es mitunter, dass ich vor der Draußentür herumlungere. Auf ihn warte. Warum? Ich möchte ihm nichts sagen, möchte ihn nichts fragen. Ich möchte nur neben ihm sitzen. Warum? Manchmal ist mir, als wäre da ein Wort, dass sich zu ihm hinflüstern möchte. Doch es traut sich nicht, meinen Kopf zu verlassen. Es ist noch zu neu, zu frisch, zu klein. Außerdem scheine ich das Sprechen verlernt zu haben. Manchmal stehe ich vor dem Spiegel und versuche es. Allein, es ist kein Laut zu hören.
IV
Ich ertappe mich, wie ich nach draußen schaue. Ich betrachte die Novemberbäume, das letzte Laub, das an den schwarz anmutenden Zweigen hängt. Aber mir ist nicht melancholisch zu Mut dabei. Ich denke nicht ans Sterben, wenn ich die Baumskelette sehe und finde das noch nicht einmal paradox. Stattdessen denke ich an das Grün, das sie schon in ein paar Monaten zieren wird. Verdammt noch mal, sage ich mir, denke ich etwa ans Leben? Man erlaubt mir, mit ihm in den Garten zu gehen. Aber soviel Freiheit lässt mich zurückschrecken. Der Wind trifft mich mitten ins Gesicht, treibt mich zurück ins Stickige, das nach Krankenhaus riecht und nach Desinfektionsmittel. Mir ist die Außenwelt vergällt. Scheiß auf hellgrün beblätterte Äste in FünfMonats -Frist! Doch da greift er nach meiner Hand und lässt sie nicht mehr los. Diesmal lasse ich ihn. Fasse sogar ein klein wenig fester, suche Halt bei ihm. Er steht neben mir, wartet ab, bis ich mich wieder entspanne, so gut es eben geht. Er sieht mich nicht an, er sieht nach draußen, in den Garten. Ein stoischer Kerl ist er. Oder nur ein sturer? Ich merke, wie sich meine Mundwinkel heben, nur um ein Winziges. Da ist wieder dieses Wort, das heraus will. Zu ihm will. Es schwebt dicht unter der Oberfläche.
Er dreht sich zu mir um. Mustert mich eindringlich. Will etwas sagen. Hält den Mund. Dreht sich wieder weg, wischt sich über die Augen.
Ich bemerke auf einmal die grauen Haare an seiner Schläfe. Waren die schon früher da? Oder sind sie in den letzten vier Wochen herangekrochen gekommen, haben sich auf ihm niedergelassen, als Ausdruck seiner Sorge … Vorsichtig hebe ich die Hand und streiche sacht darüber. Er hält ganz still. Da bricht das Wort aus mir heraus, das Wort, das sich heimlich vermehrt hat und nun einen ganzen Satz bildet, „Lass’ uns gehen“, sage ich.