Da gibt es einen, der lebt am Rande der Wüste. Er lebt dort mit seinen Ziegen und einem alten Kamel. Er ist schon immer dort gewesen und es scheint, als ob er auch immer dort bleiben wird. Der Mann ist älter als man denkt, aber jünger als die Geschichten, die um ihn herum gewebt werden, glauben machen. Jeden Morgen steht er auf, beginnt seinen Tag in der Frühe, tut die Dinge, die getan werden müssen und beendet ihn am späten Abend, am Feuer sitzend mit einem starken Tee bei Hand. Auf dem Tee schwimmen Pinienkerne. Sie dümpeln auf der dunklen dampfenden Flüssigkeit. Wer schon einmal diesen Tee getrunken hat, weiß wie gut er tut.
Der Mann sitzt dort am Feuer, ein Stück entfernt vom Zelt und von den Tieren. Er sieht zum Dünenkamm auf, der sich vor ihm in den Himmel schiebt und schweigt und nippt am Tee.
Mitunter geschieht es, dass ein Fremder in den Feuerschein tritt. So auch heute abend.
Da richtet der Mann seinen Blick auf den Neuankömmling, der in tausend Decken gewickelt zu sein scheint, aus denen er sich jetzt langsam herausschält. Eine Frau taucht aus dem Stoffmeer auf, schnappt nach Luft, sammelt sich.
Der Mann schweigt still, wartet, bis sie reden will.
Die Frau zögert noch. Dann entringt sich ihr ein einzelnes Wort. „Hilfe!“
Er hebt eine Braue. Dann deutet er auf den Platz jenseits des Feuers. „Setzt dich.“
Sie steigt aus dem Stoffgewirr und folgt dem Wink. Vorsichtig setzt sie sich und schlägt die Beine unter.
„Was führt dich her?“
„Man sagt du kannst die Zeiten vereinen.“
„Sagt man das. Hm. Wie sollte ich das machen? Und warum?“
Die Frau sieht ihn fragend an. „Du kannst das also nicht?“
„Was suchst du, Frau?“
„Ich suche mein Herz, es ist mir verloren gegangen in der Zeit. Im Jeden-Tag, im Alle-Zeit. In der Gewohnheit und im Trott des Muss und Soll und Zwang und Drang. Ich suche mich.“
„Aber du bist hier, sitzt vor mir. Ich sehe dich.“
Die Frau starrt ins Feuer. „Du siehst mich? Was für ein Irrtum! Du kennst mich doch gar nicht. Wenn ich mich selbst nicht mehr sehe, wie soll das dann ein anderer können?“
Da lacht der Mann leise. „Das Leben ist manchmal nicht ganz so kompliziert, wie man meinen will. Und wenn man es schafft, zu vertrauen – dann sieht man sich vielleicht so, wie die anderen dich wahrnehmen.“
„Ich soll dir also vertrauen und alles wird gut?“ Die Frau schnieft leicht. „Das glaube ich nicht.“
„Warum bist du hergekommen?“
„Weil ich die Zeit zurückdrehen will. Weil ich den Punkt finden will, an dem ich mir verloren gegangen bin.“
„Und was machst du, wenn du diesen Punkt gefunden hast?“
„Ab da mach ich alles anders.“
Der Mann nickt. Dann greift er sich die Teekanne und lässt die dunkle Flüssigkeit im sprudelnden Strahl in ein Glas stürzen. Er stellt die Kanne ab, streut Pinienkerne ins Glas und erhebt sich. Umrundet das Feuer, geht neben der Frau in die Hocke und reicht ihr den Tee.
„Ich gebe dir den Schlüssel zu deinem Wunsch. Mach das Beste daraus.“
Sie nimmt mit einem Zögern das Glas, betrachtet stirnrunzelnd die Flüssigkeit, die ölig schimmert. Dann kippt sie den Tee in ein, zwei Schlucken hinunter, zerbeisst die Pinienkerne und sackt zusammen. Der Mann fängt ihren Körper auf, hält sie sicher, hält sie warm. Gibt Geborgenheit und Schutz. Er summt ein Wiegenlied, um ihr wild pochendes Herz zu beruhigen.
Er weiß genau wo sie jetzt ist. Er sieht sie in den Lichtspuren stehen, während die Zeiten an ihr vorbeitaumeln. Er sieht Vergangenheiten, mehr als eine Zukunft, alles was war und was hätte möglich sein können. Sie schwankt, die Augen weit aufgerissen, der Mund in einem stummen Schrei geöffnet. Er rührt sich nicht, er ist nur der Wächter. Irgendwann wird das Wirbeln langsamer. Die Frau konzentriert sich und blickt in die Bilderströme, die sich inzwischen wie zäher Honig um sie herumwälzen. Mit einem Mal erstarrt sie. Dann, drei Umdrehungen weiter, kommt wieder Leben in sie. Wild entschlossen greift sie in die Bilderflut, packt einen Zeitstrang und zerrt und reißt ihn aus dem Gewebe. Sieht sich um, greift dann hinter sich und fügt ihn in eine neue Schleife ein. Sie dreht sich ein letztes Mal herum. Sieht den Mann an, den Wächter. Und lacht frei heraus.
Der Mann sitzt in der Wüste am Feuer. Hinter ihm schiebt sich der Wüstenkamm in den Himmel.
Jenseits des Feuers ahnt er das Zelt, das Blöken der Ziegen klingt leise herüber. In seinen Armen: nichts. Da ist niemand mehr. Die Frau ist fort.
Der Mann lächelt. Er sieht zu dem Deckenhaufen, den seine Besucherin hinterlassen hat. Er wird die Stoffbahnen an sein Zelt hängen. So ist es meistens. Die Fremden kommen wegen der Zeit und verschwinden durch die Zeit. Nur wenige haben den Mut, jenes Leben weiterzuführen, durch das sie zu ihm gelangt sind. Zu ihm, den Mann, der ihnen den Schlüssel zu einem Neuanfang gibt. Das hat er schon immer getan und so wird es wohl auch noch eine ganze Weile gehen.
Der Mann sitzt dort am Feuer, ein Stück entfernt vom Zelt und von den Tieren. Er sieht zum Dünenkamm auf, der sich vor ihm in den Himmel schiebt und schweigt und nippt am Tee.
Mitunter geschieht es, dass ein Fremder in den Feuerschein tritt. So auch heute abend.
Da richtet der Mann seinen Blick auf den Neuankömmling, der in tausend Decken gewickelt zu sein scheint, aus denen er sich jetzt langsam herausschält. Eine Frau taucht aus dem Stoffmeer auf, schnappt nach Luft, sammelt sich.
Der Mann schweigt still, wartet, bis sie reden will.
Die Frau zögert noch. Dann entringt sich ihr ein einzelnes Wort. „Hilfe!“
Er hebt eine Braue. Dann deutet er auf den Platz jenseits des Feuers. „Setzt dich.“
Sie steigt aus dem Stoffgewirr und folgt dem Wink. Vorsichtig setzt sie sich und schlägt die Beine unter.
„Was führt dich her?“
„Man sagt du kannst die Zeiten vereinen.“
„Sagt man das. Hm. Wie sollte ich das machen? Und warum?“
Die Frau sieht ihn fragend an. „Du kannst das also nicht?“
„Was suchst du, Frau?“
„Ich suche mein Herz, es ist mir verloren gegangen in der Zeit. Im Jeden-Tag, im Alle-Zeit. In der Gewohnheit und im Trott des Muss und Soll und Zwang und Drang. Ich suche mich.“
„Aber du bist hier, sitzt vor mir. Ich sehe dich.“
Die Frau starrt ins Feuer. „Du siehst mich? Was für ein Irrtum! Du kennst mich doch gar nicht. Wenn ich mich selbst nicht mehr sehe, wie soll das dann ein anderer können?“
Da lacht der Mann leise. „Das Leben ist manchmal nicht ganz so kompliziert, wie man meinen will. Und wenn man es schafft, zu vertrauen – dann sieht man sich vielleicht so, wie die anderen dich wahrnehmen.“
„Ich soll dir also vertrauen und alles wird gut?“ Die Frau schnieft leicht. „Das glaube ich nicht.“
„Warum bist du hergekommen?“
„Weil ich die Zeit zurückdrehen will. Weil ich den Punkt finden will, an dem ich mir verloren gegangen bin.“
„Und was machst du, wenn du diesen Punkt gefunden hast?“
„Ab da mach ich alles anders.“
Der Mann nickt. Dann greift er sich die Teekanne und lässt die dunkle Flüssigkeit im sprudelnden Strahl in ein Glas stürzen. Er stellt die Kanne ab, streut Pinienkerne ins Glas und erhebt sich. Umrundet das Feuer, geht neben der Frau in die Hocke und reicht ihr den Tee.
„Ich gebe dir den Schlüssel zu deinem Wunsch. Mach das Beste daraus.“
Sie nimmt mit einem Zögern das Glas, betrachtet stirnrunzelnd die Flüssigkeit, die ölig schimmert. Dann kippt sie den Tee in ein, zwei Schlucken hinunter, zerbeisst die Pinienkerne und sackt zusammen. Der Mann fängt ihren Körper auf, hält sie sicher, hält sie warm. Gibt Geborgenheit und Schutz. Er summt ein Wiegenlied, um ihr wild pochendes Herz zu beruhigen.
Er weiß genau wo sie jetzt ist. Er sieht sie in den Lichtspuren stehen, während die Zeiten an ihr vorbeitaumeln. Er sieht Vergangenheiten, mehr als eine Zukunft, alles was war und was hätte möglich sein können. Sie schwankt, die Augen weit aufgerissen, der Mund in einem stummen Schrei geöffnet. Er rührt sich nicht, er ist nur der Wächter. Irgendwann wird das Wirbeln langsamer. Die Frau konzentriert sich und blickt in die Bilderströme, die sich inzwischen wie zäher Honig um sie herumwälzen. Mit einem Mal erstarrt sie. Dann, drei Umdrehungen weiter, kommt wieder Leben in sie. Wild entschlossen greift sie in die Bilderflut, packt einen Zeitstrang und zerrt und reißt ihn aus dem Gewebe. Sieht sich um, greift dann hinter sich und fügt ihn in eine neue Schleife ein. Sie dreht sich ein letztes Mal herum. Sieht den Mann an, den Wächter. Und lacht frei heraus.
Der Mann sitzt in der Wüste am Feuer. Hinter ihm schiebt sich der Wüstenkamm in den Himmel.
Jenseits des Feuers ahnt er das Zelt, das Blöken der Ziegen klingt leise herüber. In seinen Armen: nichts. Da ist niemand mehr. Die Frau ist fort.
Der Mann lächelt. Er sieht zu dem Deckenhaufen, den seine Besucherin hinterlassen hat. Er wird die Stoffbahnen an sein Zelt hängen. So ist es meistens. Die Fremden kommen wegen der Zeit und verschwinden durch die Zeit. Nur wenige haben den Mut, jenes Leben weiterzuführen, durch das sie zu ihm gelangt sind. Zu ihm, den Mann, der ihnen den Schlüssel zu einem Neuanfang gibt. Das hat er schon immer getan und so wird es wohl auch noch eine ganze Weile gehen.