Summer in the city
Tom kam an dem Brunnen auf dem Marktplatz an. Er setzte sich zwischen Mütter und ihre schreienden und glucksenden Kinder, die sich voller Wonne in das Becken tunkten. Das war es, was er vermisste- Die liebevolle Heiterkeit, das Urvertrauen.
Das war zerschellt, an den Klippen des französischen Mittelmeeres. Ursulas Wagen war von der Straße abgekommen und nahe Nizza die Felsen hinuntergestürzt. So gesehen war alles, was danach kam, logisch. Die Trauer, die ihn umklammerte, auch jetzt, 13 Monate später- Die Depression die sich Franzi zugezogen hatte, wie einen hartnäckigen und quälenden Schnupfen. Aber wenn er von der Trauer ließe, würde er damit nicht auch die Erinnerung an Ursula ziehen lassen? Er wagte nicht, auch nur einen Schritt aus der Trauer heraus zu treten, denn er wollte ihr nicht untreu werden.
"Entschuldigen Sie bitte." Eine der Muttis wandte sich ihm zu.
"Was?", fragte er irritiert.
"Mein Kleiner - er hat Ihnen eine Dusche verpasst. So ungeschickt ist er sonst nicht." Sie lächelte zurückhaltend.
Tom bemerkte tatsächlich erst jetzt seinen nassen Rücken. " Ach nicht doch, alles gut. So eine kleine Erfrischung kann doch nicht schaden."
Er betrachtete sie näher. Dunkelbraune, lockige Haare, die im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst waren. Sommersprossen. Haselnussbraune Augen mit grün goldenen Sprenkeln. Ein einfaches weißes Top, mit Spitze eingefasst und gehalten von schmalen Trägern. Sie war auf eine schlichte Art schön. Sein Herz schlug schneller und plötzlich fiel der eine, der erste Schritt aus der Trauer gar nicht schwer.
"Möchten wir vielleicht-" er deutete zu dem Eiswagen, der am Straßenrand stand.
Sie lächelte ihm zu. "Aber nur wenn ich bezahle!" Sie sprang auf die Füße. "Wer zuletzt kommt, bekommt auch zuletzt. Der kriegt nur die traurigen Reste!"
Tom hechtete ihr nach und kam neben ihr zu stehen. "Wie heißen Sie eigentlich?" wagte er, mit einem Mal mutig, zu fragen.
"Suzanne", sie blinzelte zu ihm hoch. "Und du bist?"
"Tom", sagte Tom. Danach sagte er nicht viel außer 'Haselnuss' und 'Pistazie'.
Sie schlenderten mit ihren Eistüten zum Brunnen zurück. Ein kleiner nasser Suzanne-Spross löste sich von seiner Schwester und spurtete auf seine Mutter los. Die drückte Tom ihr Eis in die Hand, fing ihren Sohn auf und schwenkte ihn durch die laue Sommernachtluft. Tom stand mit zwei Waffeltüten in den Händen daneben.
Auf einmal wünschte er sich, weinen zu können. Den ganzen Kummer loslassen. Aber das ging nicht.
Suzanne entwand ihr Eis seinen Fingern. "Morgen wieder hier? Zur gleichen Zeit?" Sie zwinkerte ihm zu. Danach verschwand sie mit ihren Kindern in der Menschenmenge.
Tom schwor sich, morgen wieder hier zu sein. Aber mit Franzi im Gepäck. Für ihn wieder Haselnuss und Pistazie, für Franzi ein doppeltes Zitronensorbet.
Summer in the city!