Am Vorabend des Heiligen Abends fanden sich die Mitglieder der Tierkinderkrabbelgruppe „Regenbogenflöhe“ im Gemeindesaal des kleinen Dorfes ein, in dem sie alle lebten. Sie kamen durch den frisch gefallenen Schnee gestapft, der sich flüsterleise auf alle Straßen und Wiesen und Gärten und Auffahrten gelegt hatte. Drinnen hängten sie ihre Mäntel und Capes auf und wärmten sich die kalten Schnuten mit Kinderpunsch, den ihre Erzieherin Liesel Rosenroth bereits für sie gebraut hatte.
„Ich hab was Feines für uns ausgedacht, Kinder. Wir spielen heute das Krippenspiel einmal durch, so wie wir es geübt haben und morgen zeigen wir es dann euren Eltern und Freunden.“ Liesel klatschte in die Hände.
„Bevor wir anfangen, möchte ich ein Veto einlegen“, erklärte Achilles Esel.
„Ein was?“ quiekte Susi Sau.
„Ein Veto!“ soufflierte Otto Ochse.
„Und warum dies?“ Liesel sah Achilles erwartungsvoll an.
„Ich bin es leid immer nur auf einen Esel reduziert zu werden. Nur weil ich so aussehe, heißt es noch lange nicht, dass ich einer bin. Deswegen möchte ich die Rolle des Josef haben.“
„Aber du hast doch bis jetzt immer so brav den Esel gegeben, Achilles, ich verstehe nicht, warum du jetzt wer anders sein willst?“
„Gleichberechtigung! Freiheit für die Gummibärchen! Veto!“ Achilles schnaubte und schnodderte. Das passierte ihm immer, wenn er wirklich, wirklich aufgeregt war.
„Aber du kannst nicht Josef sein, der bin ich schon“ muffelte jetzt Teddy die Pfote daher. „Wenn du nicht still bist, gibt’s was auf die Sieben!“
„Zwölf“, soufflierte Otto, aber Teddy hörte ihn nicht. Was auch besser war, denn Teddy mochte es überhaupt nicht, wenn man ihn verbesserte und hätte Otto bestimmt sofort demonstriert, dass er sich im Hauen nicht so sehr irrte, wie bei den dazugehörigen Uhrzeiten. Und obwohl Otto das wusste, konnte der Ochse doch auch nicht aus seiner Haut.
„Mir ist es egal, wer Josef ist“ quiekte Susi. „Hauptsache ich kann mein Jesuskind wiegen. Wo ist es denn?“ Erwartungsvoll blickte sie zu Liesel.
Die errötete rosenrot, griff in den Korb an ihrer Seite und holte vorsichtig ein prall geschnürtes weißes Paket heraus. „Aber nicht lachen!“ Damit händigte sie das Jesus-Paket an Susi aus.
Susi sah auf die weiße Fülle in ihren Armen. „Was ist das?“
„Klopapier“, soufflierte Otto, „zwei ganze Rollen.“
Alle fingen an zu lachen, nur Susi standen die Tränen in den Augen. „Aber wie soll ich das wiegen können? Wie herzen? Wie soll ich den anderen weismachen, dass das Jesu sei?“
Liesel sah betreten drein. „Ich hatte keine Babypuppe. Da fängt man halt an zu basteln. Soll ich dem kleinen Jesu ein Gesicht malen?“ Sie holte einen Edding hervor. „Macht es dir das leichter?“
Aber Susi konnte die Vorstellung, zwei Klopapierrollen mit rundem Kreisgesicht zu wiegen, nicht überzeugen, also schüttelte sie den Kopf und presste das Zellstoffpaket an ihre Brust. „Geht schon“ schniefte sie und wischte sich die Nase an Jesus' Windel ab.
„Praktisch ist der Kleine ja“, meldete sich Jules Schildkröt zu Wort und grinste so langsam, wie er auch sonst war, von einer Seite zur anderen. „Hö. Hö. Hö.“
„Gut, Kinder, dann wollen wir es einmal probieren.“ Liesel stand auf und winkte ihre Krabbelgruppe, mitzukommen. Sie hatte im hinteren Teil des Gemeindesaales eine Bühne aufgebaut. Da war ein Stall mit einem Kaffeetisch als Krippe, zwei Strohballen, noch mehr Stroh am linken Bühnenrand und einem lebensgroßen Scherenschnitt von drei Weisen aus dem Morgenland.
„Maria und Josef? Ihr kommt an die Krippe, zu den Strohballen. Ochse und Esel bitte in ihre Boxen.“
„Und wo komm ich hin?“ Paule Pinguin piepste aufgeregt und wackelte mit seinen Stummelflügeln.
„Du darfst die drei Weisen tragen. Vom rechten Bühnenrand bis zum holden Paar. Da gibst du die Geschenke ab und gehst wieder zurück um in Andacht zu verharren.“
Paule rannte hinter den Pappaufsteller. „Da ist ja sogar ein Griff. Danke Frau Rosenroth. Aber man sieht mich gar nicht?“ Paule krähte los. „Das ist so unfair! Nur weil ich so pummelig bin, nicht? Und mich dann gleich hinter drei Leuten zu verstecken, das ist nicht nett!“
„Aber nein, Paule, so habe ich das nicht gemeint. Ich dachte nur, es gibt nicht viele, die drei Rollen auf einmal spielen können. Probier's mal aus.“
Paule sagte kein Wort, schob aber probeweise den Pappaufsteller ein wenig hin, ein wenig her.
„Myrre, Weihrauch und Gold.“ soufflierte Otto. Dann stapfte er zu seinem Platz, senkte den Kopf und fing an das Stroh zu fressen. Heimlich, hier und da ein Hälmchen.
„Wo bleibt mein Eselchen?“ Liesel klatschte in die Hände. „Achilles, stell dich doch bitte zu Otto.“
Achilles schüttelte stur den Kopf und trabte zu dem Strohballen neben der Krippe. „Ich bin heute Josef. Und morgen auch.“
Teddy hob drohend seine rechte Pfote. „Hey, Kasper, mach dass du zum Ochsen gehst. Du stehst auf meinem Platz.“
Währenddessen tänzelte Susi mit ihrem Klopapier-Jesus über die Bühne. Sie hatte sich schneller an die weiße Cellulose gewöhnt als gedacht und hielt das Paket nun als sei es ein winziges Ferkel in einer viel zu großen Windel. Schließlich stellte sie sich an den rechten Bühnenrand und begann „Stille Nacht, Heilige Nacht“ zu singen. Erst ganz leise, dann immer lauter.
Liesel war derweil damit beschäftigt, die himmlischen Heerscharen aus Pappmache auf Jules Panzer zu schnallen – zugegeben, es waren kleine Engelchen und zu einer Heerschar hatte es auch nicht gerade gereicht – aber die Putten waren da und wurden durch Jules in Bewegung gehalten.
„Was soll ich denn. Machen?“ Jules sah dem Treiben um sich herum gelassen entgegen.
„Du wanderst über die Bühne. Wenn du willst, kannst du dabei singen. Gerne auch das, was Susi singt, wenn sie singt.“
Da öffnete Jules den Mund und fiel in die Stille Nacht ein, die inzwischen vom rechten Bühnenrand herüber gegrölt wurde. Aber er war leiser und langsamer und so endete der Versuch eines Duetts kläglich.
Liesel zog sich in den Zuschauersaal zurück und ließ das Bild auf sich wirken.
Otto war die verfressene Größe am linken Bühnenrand. Inzwischen hatte er es aufgegeben, heimlich zu naschen und war zu einem offensiven Kauen umgestiegen. In der Mitte der Bühne flog gerade der Kaffeetisch um, während Achilles und Teddy ihren Boxkampf austrugen, zwei Josefs, die mit ihren Kräften nicht wohin wussten. Am rechten Bühnenrand brüllte Susi ihren Jesus aus dem Schlaf, während im Hintergrund die drei Weisen über den Bühnenboden gezurrt wurden und in einem fort etwas über Möhren und Weihrauch piepsten. Dazwischen segelten die Englein drei Handbreit über dem Boden und zogen kreuz und quer ihre Bahnen. Wenn man ganz genau hinhörte, sangen sie Jingle Bells.
Liesel kam zu einem Entschluss. Sie ging wieder zur Bühne, stemmte die Arme in die Hüften und rief. „Alle mal herhören! Otto, Schluss mit dem Futtern, das sind Requisiten und kein Abendessen. Teddy, du bist heute der Esel, Achilles, du bist Josef. Susi, hör mit diesem Krach auf, es ist schließlich eine stille Nacht und keine Heavy Metal. Jules, du machst das richtig, aber pass auf, dass du nicht den anderen im Weg stehst. Und Paule, siehst du die Markierung die ich neben Krippe und Strohballen gemacht habe? Das ist deine Endposition. Also alles auf Anfang!“
Da erhob sich ein Murren und Maulen, jeder begab sich an seinen Platz. Aber Teddy war beleidigt, weil er seine Rolle abgeben musste, Susi, weil man ihren Gesang nicht gelobt hatte, Otto, weil er nicht mehr fressen durfte.
Achilles freute sich diebisch als er nah an Susi heranrücken durfte, versehentlich schnodderte er auf das Jesus-Paket, so dass Susi, mit der eh nicht gut Kirschen essen war, sich von ihm abwandte und klein Jesu wiegte. Da war Achilles angemufft, weil er sich das Zusammenspiel mit Susi so ganz anders vorgestellt hatte, und zog eine lange Schnute.
„Und jetzt spielt wie euch der Schnabel gewachsen ist.“ Liesel sah erwartungsvoll in die Runde.
„Otto, vielleicht magst du anfangen? Du bist der Ochse und am längsten im Stall. Ist schließlich dein Zuhause.“
Otto kniff die Augen zu und überlegte. Dann hub er an:
„Wer ist denn da in meinen Stall geschneit? Ist's denn wirklich schon so weit? Heute ist nicht aller Tage, lil J was born und das ist keine Frage!“
Teddy boxte Otto in die Seite. „Was ist denn das für ein Schwachsinn?“
„Dann mach's doch besser!“
„Ich trug sie sieben Tage lang, Maria voller Gnaden. Ich war ein Wüstenschiff, von Hoffnung schwer beladen.“
„Ich dachte, du bist ein Esel“, schaltete sich Achilles ein. „Wüstenschiffe sind Kamele, du Depp.“
„Und so schwer bin ich auch nicht, Teddy“ quiekte Susi dazwischen.
Der verkniff sich gerade noch eine Antwort, als Liesel bereits an das traute Paar übergab.
„Liebster Josef mein, wir halten unser Kindelein.“
Achilles der leicht unter seinem Fell errötete, verpasste seinen Einsatz. Zu sehr war er von dem „Liebster mein“ gefangen genommen.
„Liebester Josef mein, ich wiege unser Kindelein!“, schnappte Susi. „Muss ich denn alles allein machen?“
„Nee. Nö. Ähm.“ Achilles räusperte sich. „Ich führte uns bei Tag und Nacht, durch Licht und auch durch Schatten, die Sonne heiß, der Mond so kalt, der Weg war weit und lang. Zu Hause brauchten wir ein Bett, doch voll war ‘n alle Höfe, Da nahmen wir das Stroh als Bett und hatten unsre Ruhe.“
Susi sah Achilles an und schüttelte den Kopf. „Da ist ja nix gereimt. Gar nichts! Null, Niente, Nada!“
Sie erhob sich mit Windel-Jesus vom Strohballen und marschierte wieder an den rechten Bühnenrand.
„Was machst du denn da?“ rief Achilles ihr irritiert hinter her.
„Ich bereite mich auf die Scheidung vor. So rein mental.“
„Aber warum?“
„Weil du Esel mich in deine Heimat verschleppt hast, du hast mich meiner Familie entrissen. Ich bin hochschwanger gewesen und musste auf einem knöchernen Eselsrücken durch die Wüste schwanken und jetzt kannst du noch nicht mal zur Geburt deines Sohnes reimen! Da darf man sich ja wohl nach einem umschauen der es besser kann.“
Liesel schlug die Hände vors Gesicht. Das konnte doch alles nicht wahr sein.
Da schoben sich die drei Weisen ins Bild. „Ein weiter Weg war es, aber wir sind dem Stern gefolgt.“ „Dem Stern? Aber welchem Stern denn? Ich sehe keinen Stern!“ „Ja wo ist er denn geblieben?“
„Also ich bin meinem Kompass gefolgt!“ „Und ich der Nase nach.“ „Seht ihr hier irgendwo einen Heiland?“ „Nee, nur ein Windelpaket.“ „Ist das ein Frischgeborenes?“ „Sieht so aus.“ „Dann lass uns die Geschenke hier lassen, ich will endlich wieder nach Hause. Meine Füße tun weh.“
Die Weisen hielten vor Achilles Josef und sagten: „Hier hast du Gold, Weihrauch und Möhren. Nimm hin, es ist für dein Kind. Wir sind dann auch wieder weg. Mach‘s gut, Keule.“
Achilles schlackerte mit den Ohren.
Liesel setzte sich auf einen Stuhl in der ersten Reihe. Wie sollte sie das nur der Gemeinde am nächsten Tag präsentieren. Ein Krippenspiel voller Zorn und Zwist und Scheidung? Wo war da noch der Geist der Weihnacht? Und was hatte sie falsch gemacht, wenn sie ihren Kleinen nicht das Staunen und die Ehrfurcht vor diesem Fest vermitteln konnte?
Da klappte die Tür des Gemeindesaals und schwere Schritte näherten sich. Liesel drehte sich um. „Wer da?“
„Nur der Hausmeister, Viklund Thomasson. Ich bringe den Stern.“ Ein mächtiger Mann in grauer Hausmeisterkluft, mit mächtigem Bauch und weißen Haaren und einem mächtigen weißen Bart kam neben Liesel zu stehen. Er lächelte ein gütiges Lächeln, während seine Augen fröhlich blitzten und strahlten.
„Ich muss noch etwas arbeiten. Bringen Sie doch die Kinder nach Hause, Fräulein Rosenroth. Ich kümmre mich um den Rest.“
„Ja, das wird wohl besser sein. Es ist auch schon spät.“
„Und machen Sie sich keine Sorgen, Fräulein Rosenroth. Morgen wird alles gut.“
„Ihr Wort in Gottes Ohr“, seufzte Liesel. Dann aber lächelte sie. „Ich muss den Kindern wohl einfach vertrauen, dass sie es so gut machen, wie es geht. Mal sehen was das ergibt. Einen schönen Abend, Viklund Thomasson.“
Da pfiff Liesel auf ihrer kleinen Pfeife und trommelte so die Kinderschar zusammen. Die Mäntel wurden angezogen und dann ging es in dem kleinen, immer noch leicht verbiesterten Trupp nach Hause. Einer nach dem anderen wurde bei seinen Eltern abgegeben.
Am nächsten Nachmittag, vor der Christmette sollte das Krippenspiel im Gemeindesaal stattfinden.
Als Liesel den Saal betrat, staunte sie nicht schlecht. Ihre Bühne hatte sich über Nacht verwandelt. Wo vorher noch nur ein imaginärer Stall stand, waren jetzt Boxen hin gezimmert worden, in deren Raufen Heu lag und auf deren Boden frisches Stroh aufgeworfen war. Der rollbare Kaffeetisch war durch eine echte Krippe ersetzt worden. Die drei Weisen waren nun bunt bemalt und mit schönen orientalischen Kleidern versehen. Die Pappmaschee Engel trugen güldene Heiligenscheine und Flügel. Und über allem schwebte ein goldener Stern, so prachtvoll, als sei er nicht von hier.
Als die Kinderschar langsam in den Saal kleckerte, blieben auch sie staunend stehen. Dann sahen sie die Kostüme an ihren Plätzen liegen. Otto und der Esel hatten Decken zum Überziehen, Josef und Maria trugen weiße Kleider und rote und blaue Umhänge. Und in der Krippe lag unverändert das Klopapier Jesulein. Alle machten sich fertig, wobei – Achilles trat an Teddy heran. „Willst du wieder Josef sein?“
„Klar, bin doch auch ein viel besserer Josef. Schließlich kann ich auf zwei Beinen stehen und du nicht.“
„Und du kannst reimen“, muffelte Achilles. „Ich will ja nur, dass Maria Susi glücklich ist.“
Teddy sah Achilles erstaunt an. „Daher weht der Wind? Wer hätte das gedacht.“
Achilles war kurz davor auszukeilen, so wie gestern auch, aber irgendetwas hielt ihn davon ab. Und so schüttelte er nur den Kopf, drehte sich um und stellte sich neben Otto, der ihm die Decke über den Rücken legte. Dann war es soweit, alle standen auf ihren Positionen, Liesel schloss den Vorhang und öffnete die Türen des Gemeindesaals. Die Dorfbewohner strömten herein, suchten sich ihre Plätze und verharrten in stiller Vorfreude. Das Licht ging aus. Der Stern leuchtete auf, seine Strahlen spitzten sich in die Herzen der Gäste. Sie fanden auch einen Weg durch den Vorhang und entzündeten auf der Bühne ein sehnsuchtsvolles Staunen. Aller Streit schwieg. Aller Zwist ruhte. Die Herzen wurden weit und licht. Und der Vorhang, langsam, öffnete sich.
Die Kinder der anarchistischen Krabbelgruppe sahen nun zum ersten Mal zu dem Stern auf, waren wie verzaubert und begannen nach einer stillen Pause ihr Spiel. Otto war ein Ochse wie aus dem Bilderbuch. Stoisch, erhaben. Achilles erzählte von der langen Reise, die er mit Maria und Josef erlebt hatte. Josef dichtete für Maria, dass es eine Wonne war. Maria stand am Bühnenrand und sang eine köstlich sanfte „Stille Nacht, heilige Nacht.“
Die Engel schwebten noch immer drei Handbreit über den Bühnenboden und die drei Weisen folgten nun endlich dem Stern und brachten Gold, Weihrauch und Myrre, verweilten aber und zogen nicht gleich wieder von dannen.
Es war ein voller Erfolg.
Als die Dorfbewohner in die Kirche umzogen, lief Liesel einem der Hausmeister in die Arme. „Grüße Sie mir bitte den Herrn Thomasson. Er hat wundervolles vollbracht und der Stern ist einfach sagenhaft.“
Der Hausmeister, ein großgewachsener, schlanker Mann in mittleren Jahren und ohne Bart, sah sie verwirrt an. „Ich bin Viklund Thomasson. Und Sie sind?“
„Liesel Rosenroth“ antwortete die, nun ebenso verwirrt. .“Gestern waren Sie so viel... mehr.“ Sie lächelte ihn an. „Vergessen Sie einfach was ich gesagt habe. Frohe Weihnachten!“
„Hohoho“, er zwinkerte ihr zu. „Frohes Fest!“
Und dann wurde gefeiert.
„Ich hab was Feines für uns ausgedacht, Kinder. Wir spielen heute das Krippenspiel einmal durch, so wie wir es geübt haben und morgen zeigen wir es dann euren Eltern und Freunden.“ Liesel klatschte in die Hände.
„Bevor wir anfangen, möchte ich ein Veto einlegen“, erklärte Achilles Esel.
„Ein was?“ quiekte Susi Sau.
„Ein Veto!“ soufflierte Otto Ochse.
„Und warum dies?“ Liesel sah Achilles erwartungsvoll an.
„Ich bin es leid immer nur auf einen Esel reduziert zu werden. Nur weil ich so aussehe, heißt es noch lange nicht, dass ich einer bin. Deswegen möchte ich die Rolle des Josef haben.“
„Aber du hast doch bis jetzt immer so brav den Esel gegeben, Achilles, ich verstehe nicht, warum du jetzt wer anders sein willst?“
„Gleichberechtigung! Freiheit für die Gummibärchen! Veto!“ Achilles schnaubte und schnodderte. Das passierte ihm immer, wenn er wirklich, wirklich aufgeregt war.
„Aber du kannst nicht Josef sein, der bin ich schon“ muffelte jetzt Teddy die Pfote daher. „Wenn du nicht still bist, gibt’s was auf die Sieben!“
„Zwölf“, soufflierte Otto, aber Teddy hörte ihn nicht. Was auch besser war, denn Teddy mochte es überhaupt nicht, wenn man ihn verbesserte und hätte Otto bestimmt sofort demonstriert, dass er sich im Hauen nicht so sehr irrte, wie bei den dazugehörigen Uhrzeiten. Und obwohl Otto das wusste, konnte der Ochse doch auch nicht aus seiner Haut.
„Mir ist es egal, wer Josef ist“ quiekte Susi. „Hauptsache ich kann mein Jesuskind wiegen. Wo ist es denn?“ Erwartungsvoll blickte sie zu Liesel.
Die errötete rosenrot, griff in den Korb an ihrer Seite und holte vorsichtig ein prall geschnürtes weißes Paket heraus. „Aber nicht lachen!“ Damit händigte sie das Jesus-Paket an Susi aus.
Susi sah auf die weiße Fülle in ihren Armen. „Was ist das?“
„Klopapier“, soufflierte Otto, „zwei ganze Rollen.“
Alle fingen an zu lachen, nur Susi standen die Tränen in den Augen. „Aber wie soll ich das wiegen können? Wie herzen? Wie soll ich den anderen weismachen, dass das Jesu sei?“
Liesel sah betreten drein. „Ich hatte keine Babypuppe. Da fängt man halt an zu basteln. Soll ich dem kleinen Jesu ein Gesicht malen?“ Sie holte einen Edding hervor. „Macht es dir das leichter?“
Aber Susi konnte die Vorstellung, zwei Klopapierrollen mit rundem Kreisgesicht zu wiegen, nicht überzeugen, also schüttelte sie den Kopf und presste das Zellstoffpaket an ihre Brust. „Geht schon“ schniefte sie und wischte sich die Nase an Jesus' Windel ab.
„Praktisch ist der Kleine ja“, meldete sich Jules Schildkröt zu Wort und grinste so langsam, wie er auch sonst war, von einer Seite zur anderen. „Hö. Hö. Hö.“
„Gut, Kinder, dann wollen wir es einmal probieren.“ Liesel stand auf und winkte ihre Krabbelgruppe, mitzukommen. Sie hatte im hinteren Teil des Gemeindesaales eine Bühne aufgebaut. Da war ein Stall mit einem Kaffeetisch als Krippe, zwei Strohballen, noch mehr Stroh am linken Bühnenrand und einem lebensgroßen Scherenschnitt von drei Weisen aus dem Morgenland.
„Maria und Josef? Ihr kommt an die Krippe, zu den Strohballen. Ochse und Esel bitte in ihre Boxen.“
„Und wo komm ich hin?“ Paule Pinguin piepste aufgeregt und wackelte mit seinen Stummelflügeln.
„Du darfst die drei Weisen tragen. Vom rechten Bühnenrand bis zum holden Paar. Da gibst du die Geschenke ab und gehst wieder zurück um in Andacht zu verharren.“
Paule rannte hinter den Pappaufsteller. „Da ist ja sogar ein Griff. Danke Frau Rosenroth. Aber man sieht mich gar nicht?“ Paule krähte los. „Das ist so unfair! Nur weil ich so pummelig bin, nicht? Und mich dann gleich hinter drei Leuten zu verstecken, das ist nicht nett!“
„Aber nein, Paule, so habe ich das nicht gemeint. Ich dachte nur, es gibt nicht viele, die drei Rollen auf einmal spielen können. Probier's mal aus.“
Paule sagte kein Wort, schob aber probeweise den Pappaufsteller ein wenig hin, ein wenig her.
„Myrre, Weihrauch und Gold.“ soufflierte Otto. Dann stapfte er zu seinem Platz, senkte den Kopf und fing an das Stroh zu fressen. Heimlich, hier und da ein Hälmchen.
„Wo bleibt mein Eselchen?“ Liesel klatschte in die Hände. „Achilles, stell dich doch bitte zu Otto.“
Achilles schüttelte stur den Kopf und trabte zu dem Strohballen neben der Krippe. „Ich bin heute Josef. Und morgen auch.“
Teddy hob drohend seine rechte Pfote. „Hey, Kasper, mach dass du zum Ochsen gehst. Du stehst auf meinem Platz.“
Währenddessen tänzelte Susi mit ihrem Klopapier-Jesus über die Bühne. Sie hatte sich schneller an die weiße Cellulose gewöhnt als gedacht und hielt das Paket nun als sei es ein winziges Ferkel in einer viel zu großen Windel. Schließlich stellte sie sich an den rechten Bühnenrand und begann „Stille Nacht, Heilige Nacht“ zu singen. Erst ganz leise, dann immer lauter.
Liesel war derweil damit beschäftigt, die himmlischen Heerscharen aus Pappmache auf Jules Panzer zu schnallen – zugegeben, es waren kleine Engelchen und zu einer Heerschar hatte es auch nicht gerade gereicht – aber die Putten waren da und wurden durch Jules in Bewegung gehalten.
„Was soll ich denn. Machen?“ Jules sah dem Treiben um sich herum gelassen entgegen.
„Du wanderst über die Bühne. Wenn du willst, kannst du dabei singen. Gerne auch das, was Susi singt, wenn sie singt.“
Da öffnete Jules den Mund und fiel in die Stille Nacht ein, die inzwischen vom rechten Bühnenrand herüber gegrölt wurde. Aber er war leiser und langsamer und so endete der Versuch eines Duetts kläglich.
Liesel zog sich in den Zuschauersaal zurück und ließ das Bild auf sich wirken.
Otto war die verfressene Größe am linken Bühnenrand. Inzwischen hatte er es aufgegeben, heimlich zu naschen und war zu einem offensiven Kauen umgestiegen. In der Mitte der Bühne flog gerade der Kaffeetisch um, während Achilles und Teddy ihren Boxkampf austrugen, zwei Josefs, die mit ihren Kräften nicht wohin wussten. Am rechten Bühnenrand brüllte Susi ihren Jesus aus dem Schlaf, während im Hintergrund die drei Weisen über den Bühnenboden gezurrt wurden und in einem fort etwas über Möhren und Weihrauch piepsten. Dazwischen segelten die Englein drei Handbreit über dem Boden und zogen kreuz und quer ihre Bahnen. Wenn man ganz genau hinhörte, sangen sie Jingle Bells.
Liesel kam zu einem Entschluss. Sie ging wieder zur Bühne, stemmte die Arme in die Hüften und rief. „Alle mal herhören! Otto, Schluss mit dem Futtern, das sind Requisiten und kein Abendessen. Teddy, du bist heute der Esel, Achilles, du bist Josef. Susi, hör mit diesem Krach auf, es ist schließlich eine stille Nacht und keine Heavy Metal. Jules, du machst das richtig, aber pass auf, dass du nicht den anderen im Weg stehst. Und Paule, siehst du die Markierung die ich neben Krippe und Strohballen gemacht habe? Das ist deine Endposition. Also alles auf Anfang!“
Da erhob sich ein Murren und Maulen, jeder begab sich an seinen Platz. Aber Teddy war beleidigt, weil er seine Rolle abgeben musste, Susi, weil man ihren Gesang nicht gelobt hatte, Otto, weil er nicht mehr fressen durfte.
Achilles freute sich diebisch als er nah an Susi heranrücken durfte, versehentlich schnodderte er auf das Jesus-Paket, so dass Susi, mit der eh nicht gut Kirschen essen war, sich von ihm abwandte und klein Jesu wiegte. Da war Achilles angemufft, weil er sich das Zusammenspiel mit Susi so ganz anders vorgestellt hatte, und zog eine lange Schnute.
„Und jetzt spielt wie euch der Schnabel gewachsen ist.“ Liesel sah erwartungsvoll in die Runde.
„Otto, vielleicht magst du anfangen? Du bist der Ochse und am längsten im Stall. Ist schließlich dein Zuhause.“
Otto kniff die Augen zu und überlegte. Dann hub er an:
„Wer ist denn da in meinen Stall geschneit? Ist's denn wirklich schon so weit? Heute ist nicht aller Tage, lil J was born und das ist keine Frage!“
Teddy boxte Otto in die Seite. „Was ist denn das für ein Schwachsinn?“
„Dann mach's doch besser!“
„Ich trug sie sieben Tage lang, Maria voller Gnaden. Ich war ein Wüstenschiff, von Hoffnung schwer beladen.“
„Ich dachte, du bist ein Esel“, schaltete sich Achilles ein. „Wüstenschiffe sind Kamele, du Depp.“
„Und so schwer bin ich auch nicht, Teddy“ quiekte Susi dazwischen.
Der verkniff sich gerade noch eine Antwort, als Liesel bereits an das traute Paar übergab.
„Liebster Josef mein, wir halten unser Kindelein.“
Achilles der leicht unter seinem Fell errötete, verpasste seinen Einsatz. Zu sehr war er von dem „Liebster mein“ gefangen genommen.
„Liebester Josef mein, ich wiege unser Kindelein!“, schnappte Susi. „Muss ich denn alles allein machen?“
„Nee. Nö. Ähm.“ Achilles räusperte sich. „Ich führte uns bei Tag und Nacht, durch Licht und auch durch Schatten, die Sonne heiß, der Mond so kalt, der Weg war weit und lang. Zu Hause brauchten wir ein Bett, doch voll war ‘n alle Höfe, Da nahmen wir das Stroh als Bett und hatten unsre Ruhe.“
Susi sah Achilles an und schüttelte den Kopf. „Da ist ja nix gereimt. Gar nichts! Null, Niente, Nada!“
Sie erhob sich mit Windel-Jesus vom Strohballen und marschierte wieder an den rechten Bühnenrand.
„Was machst du denn da?“ rief Achilles ihr irritiert hinter her.
„Ich bereite mich auf die Scheidung vor. So rein mental.“
„Aber warum?“
„Weil du Esel mich in deine Heimat verschleppt hast, du hast mich meiner Familie entrissen. Ich bin hochschwanger gewesen und musste auf einem knöchernen Eselsrücken durch die Wüste schwanken und jetzt kannst du noch nicht mal zur Geburt deines Sohnes reimen! Da darf man sich ja wohl nach einem umschauen der es besser kann.“
Liesel schlug die Hände vors Gesicht. Das konnte doch alles nicht wahr sein.
Da schoben sich die drei Weisen ins Bild. „Ein weiter Weg war es, aber wir sind dem Stern gefolgt.“ „Dem Stern? Aber welchem Stern denn? Ich sehe keinen Stern!“ „Ja wo ist er denn geblieben?“
„Also ich bin meinem Kompass gefolgt!“ „Und ich der Nase nach.“ „Seht ihr hier irgendwo einen Heiland?“ „Nee, nur ein Windelpaket.“ „Ist das ein Frischgeborenes?“ „Sieht so aus.“ „Dann lass uns die Geschenke hier lassen, ich will endlich wieder nach Hause. Meine Füße tun weh.“
Die Weisen hielten vor Achilles Josef und sagten: „Hier hast du Gold, Weihrauch und Möhren. Nimm hin, es ist für dein Kind. Wir sind dann auch wieder weg. Mach‘s gut, Keule.“
Achilles schlackerte mit den Ohren.
Liesel setzte sich auf einen Stuhl in der ersten Reihe. Wie sollte sie das nur der Gemeinde am nächsten Tag präsentieren. Ein Krippenspiel voller Zorn und Zwist und Scheidung? Wo war da noch der Geist der Weihnacht? Und was hatte sie falsch gemacht, wenn sie ihren Kleinen nicht das Staunen und die Ehrfurcht vor diesem Fest vermitteln konnte?
Da klappte die Tür des Gemeindesaals und schwere Schritte näherten sich. Liesel drehte sich um. „Wer da?“
„Nur der Hausmeister, Viklund Thomasson. Ich bringe den Stern.“ Ein mächtiger Mann in grauer Hausmeisterkluft, mit mächtigem Bauch und weißen Haaren und einem mächtigen weißen Bart kam neben Liesel zu stehen. Er lächelte ein gütiges Lächeln, während seine Augen fröhlich blitzten und strahlten.
„Ich muss noch etwas arbeiten. Bringen Sie doch die Kinder nach Hause, Fräulein Rosenroth. Ich kümmre mich um den Rest.“
„Ja, das wird wohl besser sein. Es ist auch schon spät.“
„Und machen Sie sich keine Sorgen, Fräulein Rosenroth. Morgen wird alles gut.“
„Ihr Wort in Gottes Ohr“, seufzte Liesel. Dann aber lächelte sie. „Ich muss den Kindern wohl einfach vertrauen, dass sie es so gut machen, wie es geht. Mal sehen was das ergibt. Einen schönen Abend, Viklund Thomasson.“
Da pfiff Liesel auf ihrer kleinen Pfeife und trommelte so die Kinderschar zusammen. Die Mäntel wurden angezogen und dann ging es in dem kleinen, immer noch leicht verbiesterten Trupp nach Hause. Einer nach dem anderen wurde bei seinen Eltern abgegeben.
Am nächsten Nachmittag, vor der Christmette sollte das Krippenspiel im Gemeindesaal stattfinden.
Als Liesel den Saal betrat, staunte sie nicht schlecht. Ihre Bühne hatte sich über Nacht verwandelt. Wo vorher noch nur ein imaginärer Stall stand, waren jetzt Boxen hin gezimmert worden, in deren Raufen Heu lag und auf deren Boden frisches Stroh aufgeworfen war. Der rollbare Kaffeetisch war durch eine echte Krippe ersetzt worden. Die drei Weisen waren nun bunt bemalt und mit schönen orientalischen Kleidern versehen. Die Pappmaschee Engel trugen güldene Heiligenscheine und Flügel. Und über allem schwebte ein goldener Stern, so prachtvoll, als sei er nicht von hier.
Als die Kinderschar langsam in den Saal kleckerte, blieben auch sie staunend stehen. Dann sahen sie die Kostüme an ihren Plätzen liegen. Otto und der Esel hatten Decken zum Überziehen, Josef und Maria trugen weiße Kleider und rote und blaue Umhänge. Und in der Krippe lag unverändert das Klopapier Jesulein. Alle machten sich fertig, wobei – Achilles trat an Teddy heran. „Willst du wieder Josef sein?“
„Klar, bin doch auch ein viel besserer Josef. Schließlich kann ich auf zwei Beinen stehen und du nicht.“
„Und du kannst reimen“, muffelte Achilles. „Ich will ja nur, dass Maria Susi glücklich ist.“
Teddy sah Achilles erstaunt an. „Daher weht der Wind? Wer hätte das gedacht.“
Achilles war kurz davor auszukeilen, so wie gestern auch, aber irgendetwas hielt ihn davon ab. Und so schüttelte er nur den Kopf, drehte sich um und stellte sich neben Otto, der ihm die Decke über den Rücken legte. Dann war es soweit, alle standen auf ihren Positionen, Liesel schloss den Vorhang und öffnete die Türen des Gemeindesaals. Die Dorfbewohner strömten herein, suchten sich ihre Plätze und verharrten in stiller Vorfreude. Das Licht ging aus. Der Stern leuchtete auf, seine Strahlen spitzten sich in die Herzen der Gäste. Sie fanden auch einen Weg durch den Vorhang und entzündeten auf der Bühne ein sehnsuchtsvolles Staunen. Aller Streit schwieg. Aller Zwist ruhte. Die Herzen wurden weit und licht. Und der Vorhang, langsam, öffnete sich.
Die Kinder der anarchistischen Krabbelgruppe sahen nun zum ersten Mal zu dem Stern auf, waren wie verzaubert und begannen nach einer stillen Pause ihr Spiel. Otto war ein Ochse wie aus dem Bilderbuch. Stoisch, erhaben. Achilles erzählte von der langen Reise, die er mit Maria und Josef erlebt hatte. Josef dichtete für Maria, dass es eine Wonne war. Maria stand am Bühnenrand und sang eine köstlich sanfte „Stille Nacht, heilige Nacht.“
Die Engel schwebten noch immer drei Handbreit über den Bühnenboden und die drei Weisen folgten nun endlich dem Stern und brachten Gold, Weihrauch und Myrre, verweilten aber und zogen nicht gleich wieder von dannen.
Es war ein voller Erfolg.
Als die Dorfbewohner in die Kirche umzogen, lief Liesel einem der Hausmeister in die Arme. „Grüße Sie mir bitte den Herrn Thomasson. Er hat wundervolles vollbracht und der Stern ist einfach sagenhaft.“
Der Hausmeister, ein großgewachsener, schlanker Mann in mittleren Jahren und ohne Bart, sah sie verwirrt an. „Ich bin Viklund Thomasson. Und Sie sind?“
„Liesel Rosenroth“ antwortete die, nun ebenso verwirrt. .“Gestern waren Sie so viel... mehr.“ Sie lächelte ihn an. „Vergessen Sie einfach was ich gesagt habe. Frohe Weihnachten!“
„Hohoho“, er zwinkerte ihr zu. „Frohes Fest!“
Und dann wurde gefeiert.