~ eine Fingerübung ~
„Wie meinen?“ Der ihr am nächsten Stehende hob irritiert den Kopf, er hatte in den letzten Minuten die Karten auf dem Konferenztisch studiert.
„Na, dass wir jetzt mal die Ärmel aufkrempeln, dass wir loslegen, dass wir uns nicht nur im Redenschwingen ergehen. Dann mal zu, also, wenn ich Ihnen das heimische Bon Mot übersetzen muss. Ehrlicher, ich hätte Sie für flotter unter Ihrer Tolle gehalten.“
Ehrlicher zuckte zurück. Lisa Mohrfeld war eigentlich eine zurückhaltende Frau, eine Dame sogar, die sich nicht zu solchen Reden hinreißen ließ. Etwas musste sie also tief getroffen haben, dass sie sich dermaßen vergaß. „Frau Mohrfeld“ hub er also an, „Verzeihen Sie, Lisa, wenn es mir gestattet ist, was treibt Sie um?“
„Na, was wohl? Ist Ihnen das Riffsterben egal? Der Schwund der Artenvielfalt, das Korallensterben, die toten Überreste einer einst bunten Unterwasserlandschaft? Da muss doch etwas getan werden und zwar jetzt, bevor es zu spät ist.“
Ehrlicher runzelte die Stirn. „Können wir nicht einfach neue Korallen ansiedeln?“
„Wir sollen sie also auf einem verrotteten Grund anflanschen? Wie lange meinen Sie, Ehrlicher, wachsen und gedeihen sie, bevor sie auch absterben und auf den Meeresgrund sinken? Nein, nein, nein, wir müssen die Riffe säubern, bevor wir neue Lebewesen dort aussetzen. Und das wird viel Zeit, Manpower und Geld kosten. Wenn es überhaupt noch Sinn machen soll, dann müssten wir schon morgen die ersten Taucher losschicken.“
„Morgen schon“, echote Ehrlicher. „Das kommt … unverhofft. Ist das nicht ein bisschen kurzfristig angedacht? Müssen wir nicht erst einmal die Budgetierung durchgehen? Oder die Versicherungsdaten der Taucher? Oder die Anmietung geeigneter Boote? Da gibt es so viele Dinge zu beachten, das geht nicht so schnell!“
„Ehrlicher“, Lisa Mohrfeld war in der Zwischenzeit rot angelaufen. „Ehrlicher, jetzt hören Sie mal zu, Mann. Wenn morgen nicht das erste Boot mit Mannschaft in die See sticht, dann lasse ich Sie Kielholen! Dann verfüttere ich Sie an die Haie, Sie Bürokrat. Und wenn die Versicherung dafür nicht zahlen will, wenn schon! Dann zahl ich Ihre Seebestattung aus der Portokasse, Sie Lauch!“
Zwei Tage später stand ein zweiseitiger Artikel über das Ableben von Lisa Mohrfeld im Stadtanzeiger, zusammen mit einem äußerst vorteilhaften Bild von ihr. Im Artikel wurde ihr Einsatz für die Konservation der Riffe gelobt, die stets vor deren Restauration in Angriff genommen wurde. Diesmal waren ihr allerdings Haie in die Quere gekommen, hungrige Haie, die nur wenig von ihr übrig gelassen hatten. Was nicht im Stadtanzeiger stand, sollte schnell erzählt sein. Ehrlicher hatte Lisa zunächst beruhigen können, war mit ihr zum Hafen gefahren, hatte ein passables Boot gefunden und ein kurzes, aber entschiedenes Gespräch mit dem Kapitän geführt. Als er vom Boot wieder auf den Pier wechselte, pfiff er leise vor sich hin, während Lisa wild zappelnd in den Armen des Leichtmatrosen lag und von ihm in die Kajüte gesperrt wurde. Man gab ihr einen Neoprenanzug. Und am nächsten Tag die Erlaubnis, schwimmen zu gehen. Schließlich hatte sie sich ja schon immer das Riff von unten ansehen wollen. Und dazu sollte sie nun die rechte Weile erhalten.